LIQUIFIED DESIRES. I SPEED SO FAR
Katalog / Catalog
DE 1996 lechzt das Kinopublikum nach den schonungslosen Bildern verwundeter Körper, Prothesenleibern und Wirbelsäulen, die nur noch durch Stahlkorsetts aufrecht gehalten werden. In seinem Film Crash richtet David Cronenberg die Kamera auf eine Clique Jugendlicher, für die der Adrenalin-Kick eines selbstprovozierten Autounfalls zur absoluten Droge wird. Der rasanten Schnelligkeit, mit der die heißesten Sportwagen auf Betonpfeiler zurasen, stehen quälend langsame Kamerafahrten über die offenen, deformierten Körper und Karosserien entgegen. Monika Grabuschniggs Bodenarbeiten Crash (Simulation) von 2019/20 scheinen wie Reliquien aus Cronenbergs Film. Verbeulte Radkappen liegen im gesamten Ausstellungsraum verstreut. Ohne Sockel scheinen sie vom unmittelbaren Crash zu zeugen und verleiten zu Imaginationen des Schreckens. Mit ihrer Materialexpertise gelingt Grabuschnigg die täuschend echte Simulation. Keramik ist Metall ist Keramik—so wie Körper Prothese ist und Prothese Körper. Bei Cronenberg wird nicht nur das Automobil fetischisiert, der Fetisch ist der Kollaps, die Versehrtheit des organischen Körpers, seine Vergänglichkeit, aber gleichzeitig auch seine Überwindung. Denn trotz all der Kollisionen—die Akteur*innen sterben nicht zwangsläufig. Im Laufe des Films rüsten sie auf: Sie ersetzen ihre Gliedmaßen durch Prothesen und Stützkorsetts, und angesichts der hinkenden, doch von unbändiger (Lebens-)Energie durchströmten Surrogat-Kreaturen verschwimmt die Grenze zwischen Selbstzerstörung und Selbstoptimierung. Crash—Cronenbergs und Grabuschniggs—sind Parabeln unserer fortwährend optimierten Hi-Tech-Zeit, in der unklar ist, wann Entwicklungen gut- oder bösartig sind—und für wen?
Was ist Deformation für eine Kategorie? Offenbar eine Bedrohliche, blicken wir in die Geschichte der Materialästhetik. Die europäische Kunstgeschichte ist kategorisiert durch die Formgebung. Seit der antiken Philosophie geistert die dichotomische aristotelische Formel durch die Kunsttheorie, nach der Material und Form nicht nur geschlechtsspezifisch, sondern auch hierarchisch beschrieben werden: Erst durch den Gewaltakt eines aktiv-männlich imaginierten Künstlers, erhält das passiv-weiblich imaginierte Material seine Form und seinen Wert.[1] Je widerstandsfähiger, härter oder schwerer ein Material, desto höher ist sein Rang innerhalb der Ordnung der Materialien. Im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellten neue synthetische, polymorphe und flüssig zu verarbeitende Stoffe (Gusseisen, später Plastik) eine gesamtgesellschaftliche Bedrohung dar. Es stand die Angst im Raum, dass alles Feste flüssig und alles Männliche weiblich wird.[2] Die hegemonial-maskuline Debatte schafft eine Bühne für ein neues feministischs Materialdenken: Weichheit, Formlosigkeit und Deformation werden als Funktionsverweigerungen, als Aufbegehren des Materials interpretiert und gerinnen zu Leitfiguren einer übergreifenden Widerstandsbewegung gegen omnipräsente binäre Ordnungen (Material<Form, Körper<Geist, Frau<Mann, etc.).
Wie verhält es sich bei Grabuschniggs deformierten Radkappen? Auf dem Galerieboden scheinen sie zu buckeln, sich zu heben und zu senken, einige bäumen sich wie von selbst auf. Sie scheinen zu animierten Akteuren*innen im Ausstellungsraum zu werden und sich ihrer ursprünglichen Funktion—einer soliden Materialperformance—zu verweigern. Sind sie von höherer Gewalt (dem Crash) deformiert oder schwächeln sie aus innerer Verweigerungshaltung (einer Art radical softness)? Oder erheben sie sich gar zu einem Parlament des Materials? Welche Kräfte auch immer gewaltet haben, um diese Deformationen zu erzeugen, in keinem Szenario war es ein menschlicher (künstlerischer) Gewaltakt. In der Ahnenschaft vieler (queer-)feministischer Künstlerinnen seit den 1960er und 70er-Jahren geht Monika Grabuschnigg eine Allianz mit dem Material ein, um Materialordnungen und zugeschriebene Hierarchien zu verwerfen.
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Acht Flammen—Keramik, überzogen mit feuerroten Glasuren, gebrannt unter immensen Temperaturen, Relief neben Relief: New Fire, Hardware for the Real (2019). Als einzelnes Objekt erscheinen die abstrahierten Flammen erstarrt zu sein, als Serie jedoch sind ihre mannigfaltigen Formen so polymorph wie das Feuer selbst. Lassen wir den Blick durch den Ausstellungsraum schweifen, beginnen die Flammen vor unserem Auge zu züngeln.
Wie zu keiner anderen Zeit ist der Austragungsort der Gegenwart entzweigerissen. Seit der Erfindung des digital interface findet das Leben in zwei scheinbar völlig voneinander getrennten Umgebungsformen statt—dem Materiell-Physischen und dem Virtuell-Digitalen. Der black mirror stellt die physische Schnittstelle dieser Welten dar. Finger tippen unendlich zart auf sogenanntem Panzerglas, nur unsere Impulse durchdringen den Touchscreen der zugleich Schaltfläche, Guckloch und Barriere ist. Dennoch tauchen wir kopfüber in die liquid crystals ein und projizieren, verwirklichen und erweitern uns in der gegenüberliegenden Welt. Wir sind Narziss über unseren schwarzen Spiegelbildern. In der Ausstellung begegnen uns jedoch keine digitalen Screens—wenn auch die schwarz glasierten Wandreliefe Assoziationen an seltsam aus der Form geratene Tablets zulassen könnten, auf deren spiegelnd-glänzender Oberfläche Grabuschniggs Finger die bekannten schmierigen Fingerspuren, Gesten und Wischbewegungen in den Ton gegraben, gefurcht, gar eingeschnitten haben. Doch Grabuschniggs Flammen-Keramiken sind mit Halterungen an den Wänden befestigt, die zur Aufhängung von Smart-TVs und Flatscreens dienen. Damit wird Grabuschniggs Hardware for the Real zu analogen Devices, die uns Zugang zu einem uns (noch) verschlüsselten Informationsquell versprechen, blicken wir nur tief genug in sie hinein… Selbst resümiert Grabuschnigg über ihre Arbeiten: „In New Fire, Hardware for the Real geht es um Wissen im weitesten Sinne—um persönlich-emotionales Wissen bis hin zu einem technischen (gottlosen) Verständnis des Universums.“
Die Künstlerin bedient sich mit der Flamme einem starken Symbol, das poetisch-melancholisch, aber auch philosophisch aufgeladen ist. Flammen, Feuer—das Höhlengleichnis mag in den Sinn schießen, Erkenntnistheorie der frühen griechischen Philosophie. Das Höhlengleichnis zählt zu den Grundtexten der platonischen Philosophie und befragt das Wesen der Erkenntnis und die Natur der Wirklichkeit. Wir sind gefangen und begreifen nur, was wir selbst erfahren—nach Plato. Und doch erweitern wir heute gutgläubig unsere individuellen Welten permanent durch das Wissen Anderer, durch Suchmaschinen und Algorithmen. In einer Welt, in der die Grenzen zwischen dem physischen und dem digitalen permanent perforiert wird, ist unsere Wahrnehmung ultimativ erweitert. Kritisch konstatiert Grabuschnigg: „Wir leben in einer Zeit, in der wir unbegrenzten Zugang zu Informationen haben, was, statt mehr Freiheit und Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten, Systemüberlastungen evoziert, Entfremdung anstelle von Erleuchtung.“—Welches Wissen bieten uns die Flammen-Keramiken also alternativ an?
Grabuschniggs Flammen erinnern mit ihren schattenrisshaften Konturen stilistisch an gewundene Tribals, die graphische Typografie mystischer Runen, nehmen die flächige Formsprache von Tattoos der 1990er-Jahre auf. Damit schließen sie sich einem viralen ästhetischen Revival an, einem neuen Aufbegehren einer neo-paganen Zeichensprache und Ästhetik— retro, virtuos und witchy.
Aktuell pulsiert eine neue/alte Macht in der queeren Szene: queer witchcraft. Schon Feministinnen der ersten Welle haben sich mit den als Hexen verschrienen, und oft willkürlich verfolgten und ermordeten Frauen und Heilkundler*innen identifiziert. Heute werden von LGBTIQ- und (BI)PoC-Communities (neo-)pagane und (neo-)spirituelle Wissensformen für nicht-patriarchale und antikoloniale Lebensformen fruchtbar gemacht, und performative Konzepte erprobt, die noch über cis- und heteronormative Adaptionen des alten Hexenbildes hinausgehen. Dabei ist eine Sensibilität gegenüber der eigenen Position/ierung und den Kontexten der marginalisierten Bezugsgruppen essentiell, denn auch diese empowernden Formen von Aneignungsstrategien können Gefahr laufen, kolonialistische Gesten unbewusst zu reproduzieren. Dennoch sehe ich in der Aufnahme vermeintlich negativ konnotierter Zuschreibungen und deren gezielte Transformation in positive und emanzipative Leitbilder wegweisende Potentiale der Neukonfigurationen von Wissensdiskursen. Mit ihrer stilistischen Referenz an ein Revival neo-paganer Formsprachen und Ästhetiken lese ich Monika Grabuschniggs tanzende Flammen als offene Denkportale zu alternativen Wissensquellen und transformierenden Perspektiven. Wenn also Smart-Devices Zugang zu einem scheinbar unbegrenzten und dennoch auf Algorithmen basierenden digitalen Wissenspool bieten, können Grabuschniggs Keramik-Flammen eine Hardware für die Dekonstruktion der zur Realität erkorenen Konzepte einer hegemonial-maskulinen Dominanzkultur bieten? Während New Fire, Hardware for the Real die Instabilität von tradierten Wissenskategorien veranschlagt, zeugt die Serie Crash (Simulation) von der Instabilität physischer Gewissheit.
Kerstin Flasche
[1] Vgl. das Vorwort zum Kapitel „Material und Geschlecht“ in: Materialästhetik. Quellentexte zu Kunst, Design und Architektur. Hrsg. v. Dietmar Rübel, Monika Wagner und Vera Wolff, Berlin 2005, S. 299-300.
[2] Ebd.
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EN In 1996, the cinema audience yearned for the merciless images of wounded bodies, prostheses, and spines held up by nothing but steel corsets. In his film Crash, David Cronenberg directs the camera at a group of young people for whom the adrenaline rush of a self-provoked car accident turns into the ultimate drug. Luxurious sports cars racing towards concrete pillars are contrasted by excruciatingly slow tracking shots of bare, deformed bodies and car wrecks. Strewn across the floor, Monika Grabuschnigg’s 2019/20 works Crash (Simulation) appear like relics from Cronenberg’s film. Dented hubcaps are scattered throughout the exhibition space. Without pedestals, they seem to bear witness to the immediate crash and induce an imagination of horror. Based on her expertise in materials, Grabuschnigg succeeds in creating a deceptively real simulation. Ceramics is metal is ceramics—just as body is prosthesis and prosthesis is body. Not only does Cronenberg fetishize the automobile, the fetish is the collapse, is the corruption of the organic body, its transience, but simultaneously its subjugation. In spite of all collisions, the actors do not inevitably die—they redesign and arm their bodies in the course of the film, replacing extremities with prostheses and corsets. And faced with these limping surrogate creatures; creatures filled with irrepressible (life-)energy, the line between self-destruction and self-optimization becomes blurred. Crash—Cronenberg’s and Grabuschnigg’s—are parables for our perpetually optimized high tech times, in which it is increasingly uncertain whether developments are benign or malignant—and for whom?
What is deformation as a category? Taking a look at the history of material aesthetics, obviously a threatening one. European art history is categorized by form. Dating back to ancient philosophy, art theory has been haunted by the dichotomous Aristotelian formula of form versus material and their description not only on the basis of gender but also hierarchies: It is only through an act of violence of an actively male-imagined artist that the passively female-imagined material is attributed its form and value.[1] The more resistant, harder or heavier the material, the higher its ranking within the order of materials. In the 19th and at the turn of the 20th century, new synthetic, polymorphic, and liquid materials (cast iron, later on plastic) posed a threat to society as a whole. A fear arose that everything solid would become liquid and everything masculine would become feminine.[2] This hegemonic-masculine debate set the stage for a new feminist thinking on materials: Softness, formlessness, and deformation are interpreted as refusals to function, as a revolt of the material and ultimately transform into key figures of an overarching resistance movement against omnipresent binary orders (material<form, body<mind, woman<man, etc.).
How does this relate to Grabuschnigg’s deformed hubcaps? As they lie on the gallery floor, they appear to buck, to rise and fall, some of them rearing up as though they are acting of their own volition. They seem to morph into animated protagonists inside the exhibition space and they refuse to comply with their original function—a solid material performance. Are they deformed by a superior force (the crash) or do they weaken as a consequence to an inner state of refusal (as a kind of radical softness)? Or perhaps, they rise up to build a parliament of materials? Whatever the force that has unfolded to create these deformations, in no scenario was it a human (artistic) act of violence. Joining the ranks of many (queer) feminist artists since the 1960s and 70s, Monika Grabuschnigg has entered an alliance with the material in order to reject material orders and ascribed hierarchies.
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Eight flames—ceramics covered with fiery red glazes, fired at immense temperatures, relief next to relief: New Fire, Hardware for the Real (2019). As a single object, the abstracted flames appear to have solidified, but as a series, their manifold shapes are as polymorphous as fire itself. If we let our gaze wander through the exhibition space, the flames begin to flicker before our eyes.
The venue of the present is torn in two like never before. Since the invention of the digital interface, life has taken place in two seemingly completely separate forms of environment—the material-physical and the virtual-digital. The black mirror represents the physical intersection of these worlds. Infinitely delicate fingers type on so-called bulletproof glass, only our impulses penetrate the touch screen, which is button, window, and barrier alike. Nevertheless, we dive headfirst into the liquid crystals and project, realize, and expand ourselves into the opposite world. We are Narcissus above our black reflections. We do not, however, encounter any digital screens in the exhibition—despite the black-glazed wall reliefs that allow for associations of peculiarly misshapen tablets, on whose reflective and shiny surfaces Grabuschnigg’s fingers have dug, gouged, even carved into the clay with familiar greasy fingerprints, gestures, and swipes. Yet, Grabuschnigg’s flame ceramics are mounted to the walls using brackets for smart TVs and flatscreens. Grabuschnigg’s Hardware for the Real therefore turns into analog devices that promise access to a (as of yet) encrypted source of information, if we only look in deep enough… Grabuschnigg herself summarizes her works as follows: “New Fire, Hardware for the Real is about formation of knowledge in the widest sense—from personal-emotional knowledge to a technical (god-empty) understanding of the universe.”
Choosing the flame, Grabuschnigg evokes a strong symbol, one that is charged poetically-melancholically, but also philosophically. Flames, fire—the allegory of the cave may come to mind; crucial ancient Greek epistemology. The allegory of the cave is one of the foundational texts of Platonic philosophy and questions the essence of knowledge and the nature of reality. We are imprisoned and understand only what we experience—according to Plato. And still, today we incessantly and gullibly expand our individual worlds through the knowledge of others, through search engines, and algorithms. In a world where the boundaries between the physical and the digital are permanently perforated, our perception is ultimately expanded. Grabuschnigg critically states: “We live in times of unlimited access to information, which rather than offering increased freedom and opportunities for development evokes system overloads, alienation rather than enlightenment.”—What knowledge do the flame ceramics offer us alternatively?
With their silhouette-like contours, Grabuschnigg’s flames are stylistically reminiscent of tribals, the graphic typography of mystical runes, and the extensive language of form seen in tattoos from the 1990s. They join a viral aesthetic revival, a new rebellion of a neo-pagan sign language and aesthetic—retro, virtuosic, and witchy.
A new/old power is currently pulsating in the queer scene: queer witchcraft. First-wave feminists already identified themselves with the often arbitrarily persecuted and murdered women and healers condemned to be witches. Today, LGBTIQ and (BI)POC communities reclaim and employ (neo-)pagan and (neo-)spiritual forms of knowledge to non-patriarchal and anti-colonial ways of life, and experiment with performative concepts that go even further beyond cis- and heteronormative adaptations of the old image of witches. A sensitivity to one’s own position/ing and the contexts of marginalized reference groups is essential here because even these empowering strategies of appropriation can be liable to convey an unconscious reproduction of colonialist gestures. I nonetheless see a groundbreaking potential for the reconfiguration of knowledge discourses in the inclusion of allegedly negatively connoted attributions and their pointed transformation into positive and emancipative models. In her stylistic reference to a revival of neo-pagan forms and aesthetics, I read Monika Grabuschnigg’s dancing flames as open think tanks for alternative sources of knowledge and transforming perspectives. So if smart devices offer access to a seemingly unlimited yet algorithm-based digital pool of knowledge, can Grabuschnigg’s ceramic flames provide a hardware for deconstructing the concept of a dominant hegemonic-masculine culture that has been declared reality? While New Fire, Hardware for the Real reveals the instability of traditional categories of knowledge, the series Crash (Simulation) testifies to the instability of physical certainty.
Kerstin Flasche
[1] Cf. the preface to the chapter “Material und Geschlecht” in: Materialästhetik. Quellentexte zu Kunst, Design und Architektur. Edited by Dietmar Rübel, Monika Wagner and Vera Wolff, Berlin 2005, pp. 299-300.
[2] Ibid.
Übers. v. / translation by Julia Schulz